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Aus Jamben | (1984–1985) | |
Elegie, übergehend zum Requiem | Tuba mirum spargens sonum . . . | 1
Ein Schuft stiehlt die Baumwolle. Diese Woche
beschloß man, es sei Zeit, der Zukunft des Landes,
das heißt den Kindern, Schraubstock und Bohrmaschine
beizubringen. Wir wollen keinen Krieg.
Wir wollen ihn so sehr nicht, daß manch einem
die Knie zittern.
Und jene drüben rühmen
der Tapferen Mut im Lärm der Störsender: einer flieht
mit dem Ballon, einer übers Wasser, einer kroch
durch den Elektrozaun, durch die Kanalisation -
völlig allein, auf dem Rücken ein kleines Kind -
unbekannte Helden verlassen ihre
geheimnisvollen Vaterländer, darin
ein Schuft die Baumwolle stiehlt. Karavanen
und Wagen und Staffeln ... Weißes Rauschen ...
Wir stecken ganz und gar in Rohbaumwolle.
Ein muslimisches Paradies, Nirwana
der Baumwolle: irgendwo am Ende
gibt es das künftige Glück der Milliarden:
der letzte Feind mit dem Ballon er flieht -
solch Stille wie in Fenstern Leonardos dann,
wohin der Portraitierte nicht sieht.
2
Doch du, Dichter, die klassische Tuba
läßt dich nicht lügen; hart gebietet, doch unhörbar
das militärische Horn, das unbezwingliche Horn
über die Wachen der Quarantäne:
aufwachen, aufstehen!
Ich, wie Bertran de Born,
den Untergang des Herrschers will ich beweinen,
und sogar den von beiden.
Und Mut verschafft mir, mich zu erdreisten,
der provenzialische Geist. Ist denn der Nachbar
des Weinens nicht wert, wie Plantagenet?
Vom finnischen Fels zum pakistanischen Berg,
von ehemals japanischen Inseln
zu ehemals polnischen Tälern; und weiter -
vom Erdinnern, darin kein Licht man sieht,
wo die Urmutter Erdöl sitzt, die Amme des
Konzerns, bis zur Höhe, wo der Sputnik fliegt
lallend im Fangeisen kosmischer Kaverne -.
Welch Zeit zum Heulen. Wo er der Anlaß nicht,
wir finden schon, worüber es gelingt.
3
Das Herz jedoch ist wunderlich. Anderes
vermag ich nicht zu sagen. Welches
Wort denn zeigt des traurig Paradies? -
Was du auch planst, was du auch beschließt,
des Mitleids Dunkel holt alsbald dich ein,
so wie den Schmetterling das Netz, nicht weit
davon die Nadel dann. Auf irgend jemands
Scheiterns Spitze stellt man es zur Schau.
Ich weiß nicht, wer’s mir sagte, dort findet
sich Schadenfreude nicht. Dort öffnet ein
Geschöpf dem andern sich, das sich schon auf-
gerichtet am starken Horn des Mitleids,
das wie beim Schluchzen überm Grab, groß und weit.
Vom öffentlichen Leichenwagen aus
- mit Staatstränen zugeschüttet wie er ist
(war höchste Zeit!) - wohin aber nun schaut
auf letztem Weg mit Augen, die zu und leer,
das ermattete Fleisch? ... Hier ist Dein Knecht, Herr,
vor Dir. Vor uns schon nicht mehr.
Tod - Herrin! was auch immer du berührst,
gewinnt sogleich die seltsame Hoffnung -
endlich einmal zu leben, anders und ganz.
Mit seinem letzten Licht zum Licht gewandt,
schwimmt der Geist, auf die Frage nicht gefaßt,
ganz allein auf der Welle der Trauer..
Wohin aber ziehen wir ...
4
Traurige Welt! wunderbare Färberei,
die mit den Farben der Hoffnung Handel treibt.
Oder das wie Geryon bunte Kleid,
sofort ist es geweißt vom Hydroperoxid
weniger Worte: „es steht der Untergang
bevor ...“ Nein, Lebende sehn es nicht.
Beweinen wir, was mit ihm Abschied nimmt.
Zu Heiligen, wie Hunde umgebracht,
daß man sie nicht mehr findet, so verscharrt,
ergeben wie im Tierkreis die Sterne,
sind wir unterwegs auf dem Wege aller,
wie dieser. Kein Gericht und auch kein Grab,
so schauen seit langem aus der Ferne,
sei es ein Prinz, sei es ein Knecht, die
Ermordeten, weil es so sein mußte.
So lernten wir, „es mußte so sein“ -
„zur raschen Bewältigung der Dunkelheit“.
So mußte es sein. Wie es sein müssen wird,
das soll entscheiden nun, wer immer will.
Leb wohl, o Jugend, du. Der Vampir saugte
und saugte, saugte dich aus. Du, Gewissen,
ein Wunder wird dich wohl kaum noch heilen,
doch wenn irgendwo Schmerz zu teilen,
wer beginnt dann hier. Was nicht zu retten ist,
wer weint darüber. Muttersprache, du, gewiß,
er in seinem Sarg ist schöner, als du
es jetzt bist. Von denen, die sich dem Schicksal
ergaben - und ihriges bekamen.
Denen,
die sich nicht ergaben, doch in gemeinsamen
Sumpf mit gepflegtem Abscheu hineingingen,
Anektoten plappernd hinter der Hand.
Jene, die sich tottranken. Nicht so sehr tranken,
sondern Baumwolle stahlen, das Volksvermögen
zu mehren. Jene, die nicht mehr lebten -
vielmehr jene dann, die überlebten!
5
Wir wissen schon: die Macht ist wie die Tonne leer,
die keinen Boden hat. Was man auch immer
hineingießt, streut, steckt - sie wird nicht voller
Steckt man das halbe Land - in einen Sack,
ins Wasser dann, stellt den Säugling an den Block,
durchquert die halbe Welt im Panzer dann, -
gibt’s keine Ruh.Von Ruhe träumt sie nicht.
Davon, was in der Hand sie haben wird,
was sein muß. Doch, wer regiert hier denn?
Wer stellt sich in die Mitte des Landes
und wünscht sich, daß vom Land nichts übrig bleibt,
als das, was Platz unter seiner Ferse hat.
Gewundene Luftsäule ist die Macht,
bewegt sich von der Mauer starren Kremls
bis in die Grabesstille der Provinzen,
zu Vororten, vernichtet auf dem Posten,
und weiter, zu mudschaheddinsken Regimenten -
und zurück wie abprallende Welle.
6
Welch Mausefalle. O, Land -
welch Mausefalle. Hamlet, Hamlet,
Geschlecht auf Geschlecht, Erbe auf Erbe,
ein Ring - Verhängnis, du bist der Stein im Ring,
solange das gebissene Stück geht, und du,
darin verschmachtend, gefangener Geist,
sieh her: hier ist es schrecklicher, so scheint’s.
Hier, so scheint’s - das ist ein Gleichnis - ist Helsingör,
und die hundertfach gesteigerte Auslegung zu sehn,
sind wir gekommen. Seit langem ist es mir
zu furchtbar, das zu leiden, zu verstehn,
übermäßig übel. Von überall her
schleicht sich der Dreck heran, rauscht mit dem Teppich sehr,
und man funkt mit kurzer, strategischer
Punktierung in den Kosmos: tuba ... mirum ...
Ihr, meiner gelehrten Jugend Freunde,
liebenswerte Rosenkranz und Güldenstern,
ich weiß, ihr seid erfahrene Leute,
ihr sagt, was ich nicht weiß.
Wahrscheinlich ist es so:
man sucht sich einen Dachboden irgendwo
und denkt, daß sei nicht zum ersten Mal,
es gab Schlimmeres. Einer Privatperson
stehen die kosmischen Krämpfe nicht zu.
Und wer, mein Prinz, auf solches drängt,
des Leber dann der Stolz verbrennt,
zerquälend das Gehirn. Wer lebt ohne Gewalt,
erzwingt den Wandel nicht, ist demütige Gestalt
bemüht sich stets und sammelt die Frucht
seiner Arbeit. Ob ein Reich zerberst,
der Henker emporsteigt zu Ehren,
die Katze wird trotzdem die Milchschale leeren,
die Ameise wird vollenden ihren Bau.
Die Welt, sie hält sich fest an uns, genau
wie je. Das Salz der Erde, das ihr sucht
im Streit mit der Welt - ist jene Tuba, mirum ...
- Ja, Rosenkranz, das ist jene tuba, mirum,
ist jener GEIST, beleidigt von der Welt,
ist eben jene Welt.
7
Leb wohl, man wird dich vergessen - und eher
als uns, arme Kerle: die künftige Macht
verschluckt die vorherige, sich verschluckend -
Portraits und Aphorismen und Orden ...
Sic transit gloria. Der Rest - ist Schweigen,
wie es heißt.
Keine Vogelscheuche, kein Clown
mehr, keine mesmerische Puppe,
jetzt bist du - ein Geist, siehst alles wie ein Geist.
In schrecklicher erneuerter Größe,
im Meer der stillen, mächtigen Kräfte
bete jetzt, Herrscher, für das Volk ...
8
Zuweilen scheint es mir, als stünde ich
am Ozean.
„Armer Beschwörer, du,
warst du es, der uns rief? so schaue jetzt,
was kommen wird ...“
„Halt, nicht ich, nicht ich!
Jemand anders soll es sein. Entlasse mich.
Mich drängt es nicht zu wissen, welche Trauer
das nie gesehene Meer bewegt.
‘Unten - das bedeutet hier ‘vor dir’.
Ich hasse es, wenn sich der Kummer naht!“
O, wenn ich alles nähme - mit allem, auf alles,
mit in den Vesuv eingetunkter Kiefer
an die Himmel, wie jemand sagte-,
schriebe, schriebe nur ein einziges Wort,
schriebe, dabei schluchzend, das Wort: HILF!
so riesig, daß die Engel schauten,
die Märtyrer es sähen, jene mit
unserm Einverständnis Ermordeten,
so daß der Herr jetzt glauben würde - nichts
bleibt dort zurück im verhaßten Herzen,
im leeren Verstand, auf geizig Erden -
von uns aus vermögen wir nichts. Hilf! | Walter Thümler | |
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